You are currently viewing Faszination Ötztaler Radmarathon 2022 – ein Erlebnisbericht

Faszination Ötztaler Radmarathon 2022 – ein Erlebnisbericht

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Reports Events

Bereits zum 4. Mal nimmt Thomas Reinke am härtesten Jedermann-Radrennen Europas, dem Ötztaler Radmarathon, der in diesem Jahr am 28.08.2022 stattfindet, teil.

Wer diese Strecke bewältigt, ist wahrlich ein Zweirad-Held. Der Ötztaler Radmarathon zehrt über 238 km Rennstrecke und 5.500 Höhenmeter an jeder Körperfaser der Athleten.

4 Alpenpässe, 66 Serpentinen und Steigungen bis zu 18 % sind zu bezwingen.

Doch die Legende der alpinen Radrennstrecken liefert noch mehr Staunen:

– Heute bewerben sich jährlich ca. 15.000 Radsportamateure um die 4.000 begehrten Startplätze, die seit dem Jahre 2008 im Losverfahren vergeben werden.

– Bei der Premiere 1982 standen 115 Sportler am Start – auf Rennrädern, die

z.T. 14 kg wogen. Die heutigen Modelle bringen im Durchschnitt 7,5 kg auf die Waage.

– Google errechnet für Autofahrer eine Zeit von 3:36 h für die Strecke des „Ötzis“. Nicht einmal doppelt so lange benötigte Mathias Nothegger 2019 auf dem Rennrad mit einem Streckenrekord von 06:47:02 h und gewann damit in Folge den Ötztaler Radmarathon.

– Gleich zum Auftakt fordert die Passstraße von Oetz nach Kühtai mit einer Steigung bis zu 18 %. Zum vierten und finalen Pass geht es über 1.759 Höhenmeter und

29 km aus dem Passeiertal über die Südrampe mit bis zu 14 % Steigung hinauf auf das Timmelsjoch auf 2.509 m Höhe.

– 295 unterschiedliche Radmarken sind beim „Ötzi“ vertreten. Die Finisher-Trikots stammen hingegen von nur einem Hersteller und werden aus ca. 9.000 m² Stoff gefertigt.

So gibt es noch viele interessante Dinge über dieses einzigartige Event zu berichten. Und so beschlossen Thomas und ich, diese Einzigartigkeit dieses Mal länger zu genießen als sonst und hingen vorher und hinterher noch ein paar Urlaubstage mehr ran.

Wir kamen bei strahlendem Sonnenschein und 31° Celsius in unserem geliebten Sölden an. Gleich am nächsten Tag war das erste und sogleich auch letzte Training vor dem Rennen angesagt: 50 km hoch zum Timmelsjoch. Während Thomas Kilometer und Höhenmeter schrubbte, absolvierte ich eine wohltuende Yogaeinheit auf der mitgebrachten Matte –Namasté. Am Nachmittag ging es dann wieder in Richtung Freizeitarena, um die Startunterlagen abzuholen und die Bike-Expo mit vielen namhaften Ausstellern zu besuchen. Dieses Mal hatten auch Mathias Nothegger, der sich mittlerweile vom aktiven Rennradsport verabschiedet hat, sowie seine Frau Carmen einen Stand mit Artikeln ihrer Marken NOM-Sportsfood und NOM-Training aufgebaut. Der Andrang der interessierten Sportler dort war groß und so hatten wir nur wenig Gelegenheit, uns mit den Beiden zu unterhalten. Dennoch war die Wiedersehensfreude groß und Thomas konnte sich noch den einen oder anderen Tipp für das Rennen am Sonntag abholen.

Der Tag des Rennens rückt immer näher. Die Anspannung steigt. Thomas lässt sich am Samstag noch die Beine massieren: „Keine Gnade für die Wade“. Es war offensichtlich sehr schmerzhaft. Dann heißt es nur noch Abendessen und danach sofort Ruhe, denn der Wecker klingelt um 4:00 Uhr. Die Fahrer bekommen ihr Frühstück eine halbe Stunde später. Die Fahrerfrauen sind erst zur regulären Frühstückszeit dran.

Während Thomas jetzt am Frühstückstisch sitzt, versuche ich die Zeit herum zu kriegen. Klappt nicht so recht. Ich laufe von einer Zimmerecke zur anderen, auf die Terrasse und zurück. Bin dermaßen aufgeregt, mein Herzschlag so schnell, als würde ich selber am Radrennen teilnehmen. Mache ich ja eigentlich auch, zumindest gedanklich.

Thomas steht jetzt am Start. Ich komme später dazu. Zunächst habe ich Probleme, ihn im Fahrerpult zu finden. Er hat natürlich schon wieder Gesprächspartner gefunden, mit denen er seine Erfahrungen der letzten Rennen austauschen konnte. Dennoch wird nicht viel gesprochen. Man spürt die Anspannung der Fahrerinnen und Fahrer. Mir fällt auf, dass in diesem Jahr wesentlich mehr Frauen am Rennen teilnehmen als sonst. Später erzählt mir Jemand, dass sich wohl 280 Frauen angemeldet haben. Wow, Hut ab. Ich würde mir das nicht zutrauen.

So – die Heißuftballons sind wieder angeheizt. Das sieht wunderschön aus in der noch leichten Dämmerung. Drohnen und der Hubschrauber kreisen wieder über den Fahrern. Aus den Boxen dröhnt coole Musik, so dass ich einfach nicht still stehen kann. Der kleinen Italienerin, die neben mir mit ihren Kindern steht, geht es genauso. Der Moderator heizt die Stimmung höher und höher, die Fahrer machen Laola-Wellen und ich bekomme wieder Gänsehaut und feuchte Augen.

Dann – 06:30 Uhr der Startschuss aus der Kanone und die ersten Fahrer setzen sich in Bewegung. Wenige Sekunden später ist auch Thomas weg. Ich warte noch bis alle Fahrer durch sind, dann begebe ich mich zurück ins Hotel. Die Straßen sind auf einmal wie leergefegt. ​

Ich glaube es ja nicht, als ich auf meine App schaue – Thomas ist um 07:09 Uhr bereits in Oetz.

Beim Frühstück schaue ich mir wieder die Live-Übertragung des Ötztaler Radmarathons im österreichischen Fernsehen an und schwatze mit einer Fahrerfrau aus der Nähe von Kitzbühel. Sie und ihr Mann waren bereits 2019 im gleichen Hotel. Man kennt sich also schon. Und das ist eben auch das Schöne am Ötztaler Radmarathon. Über die Jahre haben sich bereits mehrere Bekanntschaften und sogar Freundschaften entwickelt. Sieht man sich beim nächsten Mal wieder, ist das einfach nur schön. ​​​​​ Ganz oft werde ich gefragt, warum ich denn immer wieder zu diesem Radrennen mitfahre und ob es für mich nicht langweilig wird, während mein Mann auf der Strecke ist. Never, never, never. Nun gut, es ist in der Tat das einzige Radrennen, zu dem ich meinem Mann begleite, aber das ist das absolute Highlight. Zum Einen ist es ja auch Urlaub für mich/uns (und beschäftigen kann ich mich auch alleine). Und zum Anderen bin ich jedes Mal total fasziniert von der vorbildlichen Organisation und Streckenabsperrung, der Spannung und Stimmung überall. Jeder, ja wirklich jeder Sportler wird angefeuert und seine Leistung gewertschätzt. In den Momenten denke ich immer an meine aktive Tanzsportzeit zurück. Ich kenne das Gefühl nur zu gut, wenn das Publikum klatscht und jubelt. Das ist das Größte überhaupt – der Augenblick, wo Jeder über sich hinaus wächst, nochmal das Allerletzte aus sich heraus holt und dann den größten Glücksmoment erleben darf, wenn alles vorbei ist. Als Mensch braucht man eben Anerkennung und Lob.

Wieder ein Blick auf die Datasport App. Wie cool ist das denn? Thomas hatte sich vorgenommen, nur 2 Stunden bis zum Kühtai zu benötigen. Er hat es geschafft. Um 08:29:33 Uhr überquert er diesen ersten Alpenpass. Er ist in Top-Form. Dann 10:45.03 Uhr am Brenner. Was für eine Zeit. Oh man, bin ich aufgeregt.

Der nächste Alpenpass, der Jaufen, ist jetzt auch geschafft. Jetzt kommt zum Schluss noch das Timmelsjoch. Hier sind die meisten Fahrer bereits völlig am Anschlag – eine einzige Quälerei. In diesem Moment schoss mir der legendäre Spruch von Udo Bölts durch den Kopf:​„Quäl dich, du Sau“. So schrie Udo seinen Teamkollegen Jan Ullrich während der Tour de France 1997 an, als dieser an einem Anstieg den avisierten Sieg zu verlieren drohte. „Quäl dich noch das letzte Stück, Thomas“. Ich weiß, wenn du das geschafft hast, wirst du während der Abfahrt ins Ziel in Sölden, wieder dieses Dauergrinsen im Gesicht haben.

Ich stehe bereits an der Freizeitarena zwischen all den begeisterten Menschenmassen und feiere all die Finisher, die im Ziel einfahren. Als die erste Frau einfährt, steppt der Bär. Die Lautstärke des Publikums ist nicht zu übertreffen. Ich muss bei all der Euphorie aufpassen, dass ich nicht wieder meinen Mann bei der Zieleinfahrt verpasse. Aus dem Bike-Team Neustrelitz erhalte ich bereits die ersten Anfragen. Einige der Sportsfreunde verfolgen zuhause über YouTube das Rennen. Cool. Die Data Sport App ist völlig überlastet und ich habe Mühe, herauszufinden, wo Thomas denn gerade ist. Ah, dann klappt es wieder. In ca. 30 min sollte er über die Ziellinie fahren. Neben mir im Publikum steht eine Frau aus Dresden. Sie erzählt mir, dass ihr Mann bereits zum 12. Mal den „Ötztaler Radmarathon“ fährt und sie auch jedes Mal dabei ist. Ihr geht es dann offensichtlich so wie mir. Man bekommt hier niemals genug.

Jetzt – es wird spannend – nur wenige Minuten noch – dann kommt mein Mann. Ich mache einen langen Hals, damit ich ihn auch ja sehe. Still stehen – unmöglich. Da ist er – nach 09:58 Uhr endlich im Ziel. Ich schreie mir die Seele aus dem Leib. Am nächsten Tag bin ich total heiser. Egal – geschafft, erschöpft, aber überglücklich. Die Anspannung ist endlich vorbei.

Wir holen noch das Finisher Trikot ab und treffen doch tatsächlich noch Lisa Brunnbauer (Wetterfee aus TV und Rundfunk). Lisa ist den „Ötzi“ auch wieder gefahren. Ein kurzer Schwatz und man verabredet sich zum nächsten Facebook-Austausch.

Wir lassen nach einer kurzen Erholungsphase den Tag bei einem guten Abendessen ausklingen. Den krönenden Abschluss des einzigartigen Events darf Thomas dann noch am nächsten Tag erleben. Wir besuchen ein letztes Mal die Freizeitarena vor unserem nun beginnenden Urlaub. In der Arena trafen wir auf Ernst Lorenzi, Autor des informativen Buches zum Ötztaler Radmarathon, welches natürlich in unserem Bücherregal steht, und Mitorganisator dieses Events. Nunmehr ist sein zweites Buch erschienen: „Ein neuer Traum beginnt (2004 – 2020). Thomas erhielt ein handsigniertes Exemplar dieses wunderbaren Buches und durfte sich dann noch mit Ernst Lorenzi fotografieren lassen. Er war so stolz. 

Dieser Ötztaler Radmarathon 2022 war der letzte, der Ende August/Anfang September ausgetragen wurde. Nächstes Jahr wird die Austragung in den Juli verlagert, wohl auch in den Folgejahren. Dabei wird die klassische Strecke durch die Umfahrung des Ortes Sterzing dauerhaft verlängert. Dieses Jahr erwarteten die Teilnehmer sogar drei Streckenänderungen, welche für 300 Höhenmeter mehr sorgten. Aber wie heißt es so schön: Hart, Härter, Ötztaler.

Auch dann werden wir unsere Leidenschaft für dieses Event nicht verlieren.

Kathrin Reinke